Die Generalprobe erfolgte in der 62. Auflage des Grand Critérium de Vitesse de la Côte d’Azur, häufig vielleicht ein wenig vermessen als Elitloppet der Riviera apostrophiert, und konnte fulminanter nicht ausfallen.
Unter Einstellung des im Vorjahr von Bold Eagle auf 1:08,9 gedrückten Rennrekords wurde der Tipp dieses sonnigen, schnuckeligen 24 Grad warmen Tages der 15:10-Einschätzung der „turfistes“ vollauf gerecht, schleppte bei seinem Jubiläumssieg - es war Numero 25 - die im Vergleich zum Vorjahr von 90.000 auf 76.500 Euro gesenkte Siegprämie ab und bescherte Björn Goop, seinem Mann für die französischen Fälle, zugleich den vierten Eintrag auf dem Siegerschild: Dreimal, von 2015 bis 2017, hatte der 42-jährige Timoko zu Triumphen verholfen.
Bis alles unter Dach und Fach war, hatte der kompakte Braune, der nach dem mit dem Sieg im Prix de France beendeten Winter-Meeting auf Goops Zweigstelle in der Normandie geblieben war, jedoch gewaltig zu knabbern, zumal der Rennfilm einige überraschende Wendungen barg. Goop riskierte mit der in Cagnes nicht sonderlich geliebten „1“ gar nichts und fand sich sofort im äußeren Mittelfeld wieder, wogegen Romain Derieux an der „5“ alles auf eine Karte setzte, seinem manchmal etwas diffizilen Dijon mächtig Beine machte und gegen die direkt unter ihm loslegende Uza Josselyn den Taktstock an sich riss. Mit der „7“ von Hause aus nicht gut bedient bei der Startplatz-Verlosung, landete Bold Eagle früh in der Todeslage, und so sehr sich Franck Nivard auch mühte, war bei kernigem Tempo an Dijon einfach kein Vorbeikommen.
Es zeigt vielleicht am besten das derzeitige Standing des schwächelnden Adlers, dass ihn Derieux fast als eine Art Majestätsbeleidigung nicht vorbeiließ; noch vor zwei Jahren wäre er bei ähnlicher Gemengelage sicher heilfroh gewesen, eine solche Lokomotive nutzen zu können. Hinter Bold Eagle hatten sich Bahia Quesnot, Readly Express sowie die eingangs der Schlusskurve kurz rumpelnde Cavalleria postiert, innen folgten auf Uza Josselyn Billie de Montfort, Unique Juni und mit Comète Darche die Ärmste des Neunerfeldes. Was 500 Meter vorm Ziel eintrat, wird (nicht nur) den eingefleischten Fans des gewinnreichsten Trabrennpferdes der Welt Tränen in die Augen getrieben haben. Vermutlich hätte er auch in seiner besten Zeit bei dem knackigen Tempo Dijon nicht „con brio“ links liegen gelassen, doch es folgte die bitterste Stunde seiner von so vielen begeisternden Vorstellungen geprägten Karriere.
Völlig matt ließ er die Flügel hängen, war für alle ein Hindernis, fiel im Nu weit zurück, wobei Nivard vernünftigerweise sofort die Hände herunter nahm, und wurde, nun schon außerhalb der Kameraperspektive, 200 Meter vorm Pfosten wegen indiskutabler Gangart ausgehängt. Zu jenem Zeitpunkt rieben sich all jene, die die „Causa Bold Eagle“ fürs Erste abgehakt hatten und sich aufs Finale furioso konzentrierten, höchst verwundert die Augen. Wer gedacht hatte, Readly Express würde sich lockeren Schritts den strapazierten Tempomacher zu Gemüte führen, wurde gründlich eines Besseren belehrt. Der Ganymède-Sohn kämpfte wie ein Löwe, und lange schien es, als könne er die Lorbeeren ernten. Erst auf den letzten 40 Metern neigte sich die Waage Richtung Nurmos-Schützling, der dank aller Griffe Goops in seine Finishkiste um eine Dreiviertellänge vorbeizog.
Wie im Prix de Belgique, in dem sie zum Teil außen herum die Eintrittskarte zum Prix d’Amérique gelöst hatte, beeindruckte Bahia Quesnot mit einer Energieleistung, die ihr kaum jemand zugetraut hatte, und belegte mit identischem Abstand den dritten Stockerl-Platz vor Uza Josselyn, die aus der Deckung wenig anzubieten hatte, und Billie de Montfort. Die 1,8-fache Millionärin, bis zur Ablösung durch Bélina Josselyn Primadonna des überragenden „B“-Jahrgangs, hatte für Platz fünf nichts mehr zu halten, denn Unique Juni fiel im Galopp aus, Cavalleria vermochte den durch den Kurzfehler verlorenen Elan nicht mehr aufzubauen und Comète Darche hatte ohnehin längst genug.
Gesprächsbedarf gab’s anschließend reichlich - hinter den Kulissen und auch „aufm Platz“, wobei man Hauptbesitzer Pierre Pilarski hoch anrechnen muss, dass er sich nach diesem traurigen Sturzflug seines Adlers tapfer Equidia-Journalist Sébastien Dépré stellte: „Natürlich ist dieser Absturz ein echter Schock für uns. Wäre Sébastien Guarato nach den Trainingseindrücken nicht überzeugt gewesen, Boldie könne in diesem Rennen eine gute Rolle spielen, hätte er ihn mit Sicherheit nicht angespannt. Er hat ihn jetzt seit fast fünf Jahren im Stall und kennt ihn gut genug. Natürlich ist er nicht mehr so überlegen wie vor zwei, drei Jahren, und es rücken frische Kräfte wie jener großartige Dijon nach, die die Star herausfordern, und viele harte Schlachten fordern ihren Preis - das ist in jeder Sportart so. Nach dem überzeugenden Sieg im Prix de Bourgogne hatten wir durchaus Hoffnung, er könne nochmals ordentlich an alte Tage anknüpfen. Ob dies sein letzter Start war? Wir wollen den morgigen Tag mit dem tiermedizinischen Check abwarten. Findet sich keine medizinisch-physische Ursache, ist ein Abschied von der Rennbahn nicht ausgeschlossen. Darüber reden wir als Besitzergemeinschaft in aller Ruhe mit dem Trainer und treffen dann eine Entscheidung.“
Sollte der Adler tatsächlich in die Rente entlassen werden, was zu diesem Zeitpunkt reine Spekulation ist, kann er Billie de Montfort gleich mitnehmen, denn auch sie liefert eine bescheidene Vorstellung nach der anderen ab und lässt die früher so bemerkenswerte Spritzigkeit selbst am Start vermissen; in „Boldies“ übergroßem Schatten scheint dies nur bislang kaum jemandem aufgefallen zu sein - genauso wenig, dass Renntag wie Renntag Pferde am Ablauf sind, die im Leistungssport nichts mehr zu suchen haben und nur noch als Füllmasse dienen.
Sehr viel fröhlicher ging’s im Lager des anderen Ready-Cash-Sohnes - Europas „Übervater“ hat sich selbst nie im „Vitesse“ versucht - zu, doch verfiel Björn Goop nicht in überschwänglichen Jubel. „In diesem Fall zum Glück ist der Einlauf in Cagnes schier unendlich, und wir brauchten jeden Meter. Bei solch einem Crack musst du einfach glauben, dass er so ein Ding noch hinbiegt. Dieser unnachahmliche Rennkopf ist es, der einen Weltstar auszeichnet. Er sah das Pferd vor sich und wollte einfach gewinnen.“ Der so Gerühmte, nunmehr 2.201.824 Euro reich, wird am Mittwoch zurück auf Nurmos‘ Hof bei Stockholm reisen und auf den Elitloppet vorbereitet, vor dem er noch einmal antreten wird.
Die Hände rieb sich in freudiger Erwartung Anders Malmrot, der als „Elitloppet-General“ für die sportliche Seite der inoffiziellen Sprinter-WM am letzten Mai-Sonntag verantwortlich ist: „Ein fantastisches Rennen! Unglaublich, wie Readly Express auf den letzten 100 Metern die Zähne zusammen gebissen und die Partie doch noch aus dem Feuer gerissen hat.“ Nicht minder begeistert war er vom Vorjahrs-Dritten Dijon, den er auch gern akquirieren möchte: „Dieses Pferd stand schon im Vorjahr auf meinem Wunschzettel, aber dann floppte er im Finlandia Ajo (5. Mai), ging zurück nach Frankreich und gewann am 25. Mai den Prix Crépuscule. Hoffentlich gelingt es diesmal, ihn zu verpflichten.“
62. Grand Critérium de Vitesse de la Côte d’Azur (Gruppe I int., vier- bis zehnj. Hengste & Stuten)
1609m Autostart, 170.000 Euro
1. Readly Express 08,9 Björn Goop 15
7j.br. Hengst von Ready Cash a.d. Caddie Dream von Viking Kronos
Be: Bro Byggnads AB (Rolf Andersson); Zü: Carlsson Ekonomi & AB Lavec; Tr: Timo Nurmos
Pflegerin: Inga Perk
3. Bahia Quesnot 4. Uza Josselyn 5. Billie de Montfort 6. Cavalleria 7. Comète Darche Eric Raffin
Bold Eagle |
09,0 Romain Derieux 09,0 Junior Guelpa 09,2 Gabriele Gelormini 09,3 David Thomain 10,1 Nicolas Ensch 11,3 Stéphane Cingland dis.r. Eric Raffin dis.r. Franck Nivard |
154 901 70 737 1210 2063 593 34 |
Sieg: 15; Richter: Kampf ¾ - ¾ - 1½ - 1½ - 6½ Längen; 9 liefen
Wert: 76.500 - 42.500 - 23.800 - 13.600 - 8.500 - 3.400 - 1.700 Euro
Link zum Rennvideo: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2019-03-10/0601/6
Fotos: LeTrot.com, Jörn Finger, Equidia