In Sichtweite des Vesuv auf der Rennbahn von Neapel-Agnano wurde der Gran Premio della Lotteria entschieden, der einst zu den renommiertesten fünf „Internationals“ des Kontinents gezählt hat und in dessen Siegerliste sich Weltstars wie Gélinotte, Elma, Roquépine, Eileen Eden, Une de Mai, Top Hanover, Bellino II, Peace Corps, Ina Scot, Victory Tilly verewigt haben. Wegen des ruinierten Rufs des italienischen Pferderennsports haben die Entourages solch ausländischer Top-Stars dem Klassiker seit langem den Rücken gekehrt.
So lockten insgesamt 678.900 Euro, rund 140.000 weniger als vor Jahresfrist, nur ein paar vierbeinige B-Promis über die Alpen - und erstmals seit langem Jean-Michel Bazire. Der brachte aus seinem gestopften Lager schwerreicher Cracks Bel Avis mit, trug sich in atemberaubender Manier zum dritten Mal nach Exploit Caf (2007) und Gambling Bi (2008), damals jeweils für Fabrice Souloy, auf dem Scudetto ein und zeigte insbesondere Alessandro Gocciadoro, wo und vor allem wie hoch der Hammer hängt. Das Quartier von Italiens neuem „Wundertrainer“ stellte allein sieben der 24 Anwärter, von denen sich die jeweils besten Drei aus drei Vorläufen à 25.300 Euro fürs Finale grande qualifizierten. Der „Mann in Gelb“ brachte ein Quartett in den Endlauf und erlitt dort vor allem mit seinem Schlachtschiff Vitruvio gründlichen Schiffbruch, das in der Todesspur schwer auf Grund lief und als Letzter eintrudelte. Lediglich Außenseiterin Ua Huka strich als Vierte eine Prämie ein.
Der unersättliche Eddy Merckx war einst der Kannibale der Pedaleure, der Rennen um Rennen, Gegner um Gegner fraß, ein Jag de Bellouet in seiner Glanzzeit hat sich diesen Titel bei den Trabern - zum Teil unredlich, sprich mit Verstößen gegen Dopingbestimmungen -, verdient. „Jean-Mi“, wie ihn seine Freunde nennen, räumt seit einem Jahr in ähnlich gnadenloser Manier ab, was es abzuräumen gibt. Nun also auch im Ausland, um das er lange einen großen Bogen geschlagen hat.
Noch eins wurde neben dem Appetit des 6.000-Siege-Mannes aus Le Mans offensichtlich: Wenn der am 16. April 48 Jahre alt gewordene 20-fache Fahrer- und doppelte Trainer-Champion Frankreichs mal keine Lust mehr auf den Rennsport hat, kann er problemlos eine Gymnastik-Schule eröffnen. Weit vor dem Zielstrich kasperte er eine jener Shows herunter, für die ihn seine Fangemeinde, die weltweit wächst, so liebt: Ein Bein hoch - das hat der Schwede Peter Ingves in die Traberwelt eingeführt und etliche Nachahmer gefunden. Gleichgewichtskünstler Bazire setzte noch einen drauf, streckte ab 100 Meter vorm Ziel beide Beine kerzengerade in die Luft und baute gleich - zur Nachahmung nicht unbedingt empfohlen - einen weiteren Schwierigkeitsgrad ein: Erst die linke Hand - Leine los - zur Becker-Faust geballt, und als sei dies Kabinettstück noch immer nicht genug, flog kurz darauf die Peitsche in hohem Bogen weg. Das ist jetzt die neue „Benchmark“, was Jubelposen betrifft. (Foto: napoli.repubblica.it)
Mit 18 Siegen aus 53 Starts und 685.890 Euro war der Wallach der Ecurie Wildenstein zu seinem ersten Auslandsstart aufgebrochen und hatte dank Vorlauf- (der hing nach einem kapitalen Startstotterer am seidenen Faden) und Finalsieg auf dem Rückweg 262.744 Euro mehr über die Alpen zu schleppen. Dass kein neuer Rennrekord dabei war - geschenkt: Mit 1:11,6 blieb der Ganymède-Sohn deutlich über jenen 1:10,5, die Timone EK 2017 markiert hatte. Dafür musste Bel Avis nicht im Entferntesten an seine Grenzen gehen - „schöne Aussichten“ also für weitere Auslandsauftritte des Braunen, der nun sogar für den Elitloppet schwer im Gespräch ist.
Einen dicken Strich konnte auch Björn Goop unter die Jubiläums-Ausgabe machen: Im Vorjahr Zweiter mit Dreammoko, holte er erneut den Ehrenplatz, diesmal mit dem von Stefan Melander trainierten Disco Volante, der in Schweden ein solider Golddivisionär ist, ohne zu den großen Kanonen zu zählen. „Ein Bel Avis in dieser Verfassung ist ein Elitloppet-Pferd, gar keine Frage. Wenn Bazire will, bekommt er sofort eine Einladung. Es wäre schön, würde er sich selbst nach Schweden wagen, denn er ist ein Super-Star, der, wie in Neapel ersichtlich, die Leute in Scharen anzieht“, kommentierte Solvallas vor Ort weilender Sportchef Anders Malmrot.
„Ich hatte einen nachgerade traumhaften Parcours, und war mir des Sieges im Scheitel der letzten Kurve sicher. Ich wollte nur mit einem siegfertigen Pferd zum Lotteria kommen. Wirklich alles hat perfekt geklappt. Tutto va bene“, griente der Maître von einem Ohr zum anderen und schob nach: „Wir müssen abwarten, wie Bel Avis die lange Reise und die beiden Heats wegsteckt. Das war für ihn eine Premiere; nie zuvor ist er über eine solch kurze Distanz angetreten.“ Das klang durchaus danach, als dürften sich die Schweden auf ein Engagement mindestens im Sweden Cup spitzen.
Der Rennverlauf
Die ersten dicken Striche durch Gocciadoras Rechnung machten der von ihm trainierte Attack Diablo, der im wilden Galopp begann, auspariert in dritter Spur hängen blieb und von Federico Esposito ans Feldende beordert wurde, und vor allem Disco Volante. Der Scarlet-Knight-Sohn eroberte von der „4“ verblüffend leicht die Spitze gegen Ua Huka, und weil an jener Timone EK, der als Solist in Startreihe zwei begann, klebte und Björn Goop in Front sofort das Tempo drosselte, blieb „Alex“ nichts anderes übrig, als mit Vitruvio den Part der äußeren Lokomotive zu übernehmen. Ausgerechnet mit Bel Avis im Nacken, hinter dem sich Bazire „volle Hände“ selbige früh reiben durfte und dem seinerseits Ursa Caf, Urlo dei Venti und Attack Diablo folgten.
Waren 1:13,1 für den ersten Kilometer eher ein Geplänkel, so gab Goop danach richtig Gas. Das erstickte Angriffsversuche der hinteren Chargen konsequent im Keim und stellte andererseits Vitruvio, immerhin Vorlauf-Sieger und mit 872.920 Euro alles andere denn ein Leichtgewicht, 400 Meter vorm Ziel vor immense Probleme, die wenig später im totalen Rückzug gipfelten. Da war Bel Avis längst in dritter Spur unterwegs. Schon an der letzen Ecke wurde offensichtlich, dass nur ein Unglücksfall ihm die Sieg-Tour würde vermasseln können. Bazire selbst war sich so früh sicher, dass er wie eingangs beschrieben seine Sondernummer vor johlendem Publikum absolvierte. Vier Längen hinter ihm raufte sich Disco Volante zum mit 120.600 Euro üppig dotierten Ehrenplatz vor Ursa Caf, die das Stuten-Duell gegen Ua Huka sicher zu ihren Gunsten entschied. Das Kleingeld wanderte in die Tasche von Titelverteidiger Urlo dei Venti. (Foto: travnet.se)
70. Gran Premio della Lotteria - Finale - (Gruppe I int., Vier- bis Zwölfj., UET-Masters-Serie, Grand Slam)
1600m Autostart, 603.000 Euro
1. Bel Avis 11,3 Jean-Michel Bazire 24
8j.br. Wallach von Ganymède a.d. Gloria Maris von Workaholic
Be: New Blue 1 LLC (Wildenstein Stables Ltd.), FR; Zü: Comte de Bellaigue, FR; Tr: Jean-Michel Bazire
2. Disco Volante 3. Ursa Caf 4. Ua Huka 5. Urlo dei Venti 6. Vanesia EK 7. Attack Diablo 8. Timone EK 9. Vitruvio |
11,8 Björn Goop 11,9 Antonio Esposito 12,1 Rene‘ Legati 12,3 Antonio di Nardo 12,4 Pietro Gubellini 12,9g Federico Esposito 13,3 Roberto Vecchione 13,4 Alessandro Gocciadoro |
30 892 409 284 742 162 123 26 |
Sieg: 24; Richter: überlegen 4 - ¾ - 1¼ - 2 - 1¼ Längen; 9 liefen
Zw-Zeiten: 11,7/500m - 13,1/1000m
Wert: 252.164 - 120.600 - 65.782 - 32.891 - 21.927 sowie 109.636 Euro Züchterprämien
Rennvideo: https://www.youtube.com/watch?v=pxXPQeMxBrQ
Die Vorläufe
Die erste Überraschung gab’s in Batteria A durch Disco Volante, der von der äußersten Startposition „8“ einen Beat aufs neapolitanische Parkett hämmerte, dem keiner der Konkurrenten gewachsen war. Leichtfüßig flitzte der Scarlet-Knight-Sohn vor Urlo dei Venti und Specialess in Front und konnte dort alles nach Belieben regeln, zumal dem 12 Jahre alten Arazi Boko, den Gocciadoro vor einem Jahr zum nunmehr dritten Frühling erweckt hatte, der Marsch durch die Todesspur ziemlich gründlich den Kampfzahn zog und sich Ultra Wind Bi und Lover Face in der ersten Kurve mit Fehlern ausgeklinkt hatten. Björn Goop erlebte eine extrem geruhsame Zielgerade und hielt sich den 500 Meter vorm Pfosten in dritter Spur aktiv werdenden Attack Diablo mit stahlhartem Blick, aber ganz ruhigen Händen um drei Längen vom Leib. Dritter Finalist wurde Urlo dei Venti knapp vor Holger Ehlerts Pantera del Pino, die so lange wie möglich Arazi Bokos Windschatten genossen hatte.
Batteria A
1600m Autostart, 25.300 Euro
1. Disco Volante 11,9 Björn Goop 81
6j.br. Wallach von Scarlet Knight a.d. Glorify von Super Arnie
Be: Stall Courant AB, SE; Zü: Jan Johansson, SE; Tr: Stefan Melander
2. Attack Diablo 3. Urlo dei Venti 4. Pantera del Pino 5. Arazi Boko 6. Specialess Ultra Wind Bi Lover Face |
12,2 Federico Esposito 12,3 Antonio di Nardo 12,3 Rene’ Legati 12,4 Alessandro Gocciadoro 12,6 Andrea Vitagliano dis.r. Gabriele Gelormini dis.r. Robin Bakker |
17* 24 135 17* 489 184 211 |
*Stallwette
Sieg: 81; Richter: überlegen 3 - 1 - ½ - 2 Längen; 8 liefen
Wert: 10.580 - 5.060 - 2.760 - 1.380 - 920 und 4.600 Euro Züchterprämien
Rennvideo: https://www.youtube.com/watch?v=omIzW1dUSgM
So rasiert, wie die Gocciadoro-Bande in Vorlauf 1 wurde, so prächtig lief’s für sie in Batteria B.Ua Huka schoss sofort vor Ursa Caf und Very Joy nach vorn, und natürlich wartete Rene‘ Legati nur darauf, dass sein Chef mit Vitruvio angerückt kam. Im schlanken Gang bekam der Adrian-Chip-Sprössling die erwünschte Spitzenposition auf dem Silbertablett serviert und hatte damit die grundsolide Basis gelegt. Obwohl es alles andere als zügig aussah, war der erste Kilometer mit 1:12,2 recht flott. Der früh in Spur zwei beorderte Abydos du Vivier konnte nur mühsam seine Fühler nach vorn strecken und hatte dabei Deimos Racing im Schlepptau. Nichts, aber auch gar nichts brannte mehr für Vitruvio an, der puppenleicht zwei Längen voraus den 16. Sieg unter Dach und Fach brachte vor der zwei Längen zurück folgenden Trainingsgefährtin Ua Huka, die sich Ursa Caf um einen „Hals“ vom Leib hielt.
Batteria B
1600m Autostart, 25.300 Euro
1. Vitruvio 11,5 Alessandro Gocciadoro 11
5j.br. Hengst von Adrian Chip a.d. Tigre OM von Zebu
Be: Pink & Black; Zü: Scud. Sant’Andrea Srl; Tr: Alessandro Gocciadoro
2. Ua Huka 3. Ursa Caf 4. Very Joy 5. Voltaire Gifont 6. Deimos Racing 7. Abydos du Vivier |
11,7 Rene’ Legati 11,8 Antonio Esposito 11,9 Gaetano di Nardo 12,2 Pietro Gubellini 12,3 Björn Goop 12,7 Jean-Michel Bazire |
103 282 354 175 186 52 |
Sieg: 11; Richter: leicht 2 - Hals - 2 - 2 - Hals - 3½; 7 liefen (NS Tessy d’Eté)
Wert: 11.500 - 5.500 - 3.000 - 1.500 - 1.000 und 5.000 Euro Züchterprämien
Rennvideo: https://www.youtube.com/watch?v=M4R-Mnn0inY
Mit einer Schrecksekunde für die Favoritenwetter begann Batteria C, als Bel Avis vor Erreichen der Startmarke galoppierte. Von Jean-Michel Bazire ratzfatz in den Griff bekommen, trabte der Wallach nur wenige Meter, sprang - nun schon nach dem „Ab“ - erneut und wandelte am Rand der roten Karte, derweil Sonia sich flinken Schritts das Kommando vor Vernissage Grif und dem im ersten Bogen ausfallenden Vivid Wise As sicherte. Unter dem Raunen des Publikums kam vor den Tribünen Timone EK angefegt und klemmte sich für die Schlussrunde ohne viel Federlesens ins Kommando, so dass sich Björn Goop mit Dupree den Weg durch die Außenspur selbst bahnen musste. An ihn koppelte sich Bazire.
Nach 1100 Metern herrschte in vorderen Gefilden allgemeine Aufbruchstimmung: Erst setzte sich Vernissage Grif vor Dupree, wenig später scherte Sonia vor ihm aus - und flog im Galopp aus der letzten Kurve, so dass der Weg für Timone EK, den Lotteria-Sieger von 2017, endgültig geebnet schien. Da hatte der 1,3-fache Millionär die Rechnung aber ohne Bel Avis gemacht. Ungeachtet der einigen Boden und Schwung kostenden anfänglichen Wackler hatte der Wildensteiner Gewaltiges in petto. Bereits an der letzten Ecke durften die Bazire-Fans frohlocken; ohne einen Handschlag seines Meisters erledigte der Achtjährige die erste Mission Vorlauf-Sieg, die neben 11.500 Euro eine frühe Wahl des Finalstartplatzes bedeutete, in brillantem Stil. Drei Längen betrug der Vorteil gegenüber Timone EK, der viel von seinem früher gefürchteten Punch eingebüßt hat und sich mächtig in die Sielen legen musste, um wenigstens den Ehrenplatz gegen Vanesia EK zu retten, die gegenüber als inneres Schlusslicht bis in seinen Rücken vorgestoßen war.
Batteria C
1600m Autostart, 25.300 Euro
1. Bel Avis 11,6g Jean-Michel Bazire 14
8j.br. Wallach von Ganymède a.d. Gloria Maris von Workaholic
Be: New Blue 1 LLC (Wildenstein Stables Ltd.), FR; Zü: Comte de Bellaigue, FR; Tr: Jean-Michel Bazire
2. Timone EK 3. Vanesia EK 4. Vernissage Grif 5. Tina Turner 6. Dupree Vivid Wise As Sonia |
12,0 Roberto Vecchione 12,0 Pietro Gubellini 12,1 Gennero Riccio 12,6 Gaetano Lo Verde 14,4 Björn Goop dis.r. Edoardo Loccisano dis.r. Rene’ Legati |
53 248 116 349 124 89 101 |
Sieg: 14; Richter: überlegen 3 - Hals - ¾ - 3½ Längen; 8 liefen
Wert: 11.500 - 5.500 - 3.000 - 1.500 - 1.000 und 5.000 Euro Züchterprämien
Rennvideo: https://www.youtube.com/watch?v=UrXEBYjbZSw
Zum Trost 13.800 Euro
Seiner Bezeichnung Trostlauf machte die mit 33.000 Euro ausstaffierte Consolazione zumindest für das Lot von Alessandro Gocciadoro alle Ehre. Der letztlich überlegene Arazi Boko war in 1:11,1 sogar einen Tick zügiger unterwegs als der große Dominator Bel Avis. 300 knochenharte Meter, bis er sich endlich gegen Vernissage Grif für die Pole Position durchgesetzt hatte, schadeten dem weitgereisten Schweden nicht. Obwohl „Alex“ bereits im Schlussbogen zur Peitsche greifen musste, hielt er in einer höchst unansehnlichen „Knüppel-Show“ nicht nur dem Druck des früh attackierenden Hintermannes statt, sondern befreite sich auf den letzten 100 Metern um drei Längen von ihm. 13.800 Euro wanderten in seine Kasse, 6.600 in jene Vernissage Grifs - davon kann man sicherlich etliche Kühlpackungen für die kräftig gegerbten Felle kaufen…
Rennvideo: https://www.youtube.com/watch?v=RHjxqL2fzos