Samstag, 21. Mai 2022. Sie war keine Millionärin, ja nicht mal eine Siegmaschine. Und doch ist Chica de Joudes allen, die am französischen Trabrennsport der letzten fünf Jahre interessiert sind, bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Zehn Monate, bevor sie die Rennbahnen Frankreichs ohnehin hätte verlassen müssen, darf sie „Adieu“ sagen und sich in die Mutterschaft verabschieden.
Die Zehnjährige war, wie Le Trot formuliert, mutig, liebenswert und populär. Vor allem, weil sie sich über viele Jahre selbst in großen und größten Aufgaben nicht versteckte - oder verstecken durfte - und von ihrem Mentor Alain Laurent fast immer bedingungslos offensiv vorgetragen wurde. Dass sie trotz vieler ruinös wirkender Rennszenarien immer wieder ihre Haut mutig in die nächste Schlacht warf, nötigte Profis wie Wettern und Publikum allerhöchsten Respekt ab.
Dies wog in vielen Augen mehr als die Tatsache, dass sie „nur“ 890.770 Euro verdient hat, Siege in den letzten Jahren aufgrund der knallharten Gegnerschaft Seltenheitswert hatten und vieles ihrer Gage durchs mühsame Einsammeln kleinerer Schecks in Riesen-Aufgaben nach dem „Eichhörnchen-Prinzip“ zustande kam.
Der letzte ihrer 16 Volltreffer gelang ihr am 3. November 2021 zu Beginn des Vincenner Winter-Meetings im Prix des Cevennes als 342:10-Außenseiterin nach eher ungewöhnlichem Muster. Wie so oft steuerte Laurent sie offensiv durch die Todesspur, durfte sogar in Front, was der Jag-de-Bellouet-Tochter höchst selten vergönnt war, schläferte die Rivalen ein - und raufte sich mit bewährtem Feuereifer sicher nach Hause.
Die Braune war ob ihrer markanten breiten Blesse ein beliebtes Motiv für so manches Werbe-Poster. Über ihre gesamte Karriere, ja sogar von Jährlingsalter an war nur einer für sie zuständig: Alain Laurent. Sie kam zu dem heute 69-jährigen als Pachtpferd mit 18 Monaten und kehrt nun zu ihren Züchtern und Besitzern, der im Department Saône-et-Loire ansässigen Familie Vulliamy, zurück.
„Sie war die Stute meines Herzens, etwas ganz Besonders, hart im Rennen, liebenswert im Umgang und permanent voller Lebensfreude. Man musste sie einfach gern haben, und ich glaube, alle haben sie geliebt. Niemand missgönnte ihr die Erfolge“, verriet Laurent.
Ihre Laufbahn begann Ende zweijährig mit einer Disqualifikation auf dem Rechtskurs von Strasbourg höchst unscheinbar. Auch drei- und vierjährig deutete sie höchstens ansatzweise an, zu Höherem berufen zu sein. Einigen feinen Siegen in Vincennes und Enghien folgten prompt rote Karten in ziemlicher Fülle.
Fahrt nahm die Karriere erst im Winter-Meeting 2016/2017 auf mit drei Siegen, denen ohne Unterbrechung drei Ehrenplätze am Stück folgten. Der Durchbruch gelang ihr mit ihrem ersten Treffer auf Gruppe-Niveau im Prix Helen Johansson am 27. Januar 2019, dem Tag des Amérique.
Ein Jahr später war sie im Rennen der Rennen dann schon selbst dabei dank eines zweiten Platzes im Prix de Bretagne - ihre damalige Gewinnsumme von 607.670 Euro hätte nicht gereicht, zum erlauchten Kreis der 18 zu gehören -, wurde zur grenzenlosen Überraschung Aller Vierte. Die 72.000 Euro, die ihr dafür gutgeschrieben wurden, sollten die üppigste Gutschrift ihrer gesamten Laufbahn bleiben.
Bis auf besagten Prix des Cevennes verliefen die letzten Einsätze eher mittelprächtig; 2022 über ihr Einkommen in den Amérique gerutscht, wuchs sie mit Platz sechs noch einmal über sich hinaus und beendete, nach den Plätzen sieben im Prix de France und fünf im Prix de Paris, mit einem sechsten Rang im Prix Jean Riaud am 9. April ihr „Arbeitsleben“ als Rennpferd.
Mit jener letzten Aufgabe hatte es seine besondere Bewandtnis: „Ich habe 30 Jahre mit und für Jean Riaud gearbeitet, für ihn den Prix de Cornulier gewonnen (1983 mit Kaprius/Anm.d.Red.) und hätte mich natürlich liebend gern auf der Ehrentafel seines Memorials verewigt. Doch auch die sechste Prämie macht mich stolz, denn Chica hat sich prächtig geschlagen. Mein Dank gilt Familie Vuillamy, die ich bat, dieses letzte Rennen noch bestreiten zu dürfen.“
Zu guter Letzt verriet Laurent den einzigen kleinen Wermutstropfen, den ihm Chica beschert hat: „Als sie als Jährling zu mir kam, hatte sie ein Problem, dessen Ursache wir nie wirklich herausgefunden haben, obwohl wir sie diversen Tierärzten vorgestellt haben."
"Ich hatte gedacht, sie wäre wegen ihrer Abstammung von Jag de Bellouet und ihres Kalibers eine prima Stute für den Cornulier, doch als ich sie erstmals vierjährig unterm Sattel probierte, hat sie sich äußerst unwohl gefühlt, was an jenem Problem gelegen haben mag. Am 24. Dezember 2021 im Prix Jules Lemonnier haben wir es dann tatsächlich doch noch mal in einem Monté versucht."
"Sie hat nicht die geringste Rolle gespielt und ist an Fehlern gescheitert. Doch auch so wird sie immer einen Platz in meinem Herzen haben“, gab der als Trainer 1.816 und als Fahrer bzw. Reiter 2.365 Siege reiche Laurent seiner vierbeinigen Herzensdame mit auf den Weg in die Mutterstuten-Herde.
STECKBRIEF CHICA DE JOUDES (Daten von Le Trot)
Züchter: Ecurie Jean-Pierre Vulliamy
geboren 2012
Jag de Bellouet a.d. Queschua Love von Love You
Schwester u.a. von Atlas de Joudes 1:13,4 (4 Siege, 269.900 Euro; von Ready Cash)
Besitzer & Trainer: Alain Laurent
Qualifikation: 24. Oktober 2014 in Grosbois / 1:18,9
83 Starts, 16 Siege, 12 zweite, 4 dritte Plätze
Gewinnsumme: 890.770 Euro
Rekord: 1:10,3 als Sechste des Prix René Ballière am 27. Juni 2021 sowie als Siebente des Prix de France am 13. Februar 2022
Gruppe-Rennen / Teilnahmen & beste Platzierungen
Gruppe I (12):
4. im Prix d’Amérique 2020, 5. im Prix de Paris 2021, 5. im Prix de Paris 2022
Gruppe II (15):
2. im Prix de Bretagne 2019
Gruppe III (18).
3 Siege: Prix Helen Johansson 2019, Prix du Languedoc 2019, Prix des Cévennes 2021