(nn) Vincennes, Sonntag, 22. November 2020. Tief durchatmen konnte die Konkurrenz nach der im Prix de Bretagne gewonnenen Erkenntnis, dass auch einem Jean-Michel Bazire nicht alles gelingt. Im ersten der vier halb-klassischen „B“-Rennen auf dem dornigen Weg zum Prix d’Amérique 2021, mit 18 Aspiranten nach dem Motto „Der frühe Vogel fängt eines der ersten drei Billets“ bis zum Anschlag besetzt, hatte der zweifache französische Trainerchampion wie Sébastien Guarato drei Kandidaten unter Order - und zog mit einer Nullnummer gegen seinen Vorgänger auf dem Trainerthron ganz klar den Kürzeren.
Vom mit schwachen Formen aus Skandinavien zu ihm zurückgekehrten Looking Superb und von Davidson du Pont, der den Prix de Bretagne 2018 und 2019 an seine Fahne geheftet hatte, nach achtmonatiger Pause mit „Testpiloten“ bei drei Versuchen wie heute rundum beschlagen gar nichts - oder alles - gerissen hatte, war nichts anderes erwartet worden. Sein interessantester Kandidat war Valzer di Poggio, der mit schlappen 277.640 Euro der Ärmste der 18 war, jedoch das Momentum auf seiner Seite hatte: Seit Mai hat sich der schmucke Fuchs mit dem großen Stern elfmal in Folge als unaustanzbarer Walzerkönig entpuppt - unabhängig von Fahrer, Richtung, Distanz und Startart.
„Jean-Mi“ nahm sich des Italieners höchstpersönlich an, genoss bei 24:10 das meiste Vertrauen der Wetter und schien es in einem turbulenten Match, in dem bis auf die am schnellsten in die Schuhe gekommene, dafür nach 300 Metern ausgefallene Erminig d’Oliverie der Pulk bis zum Ende in drei Reihen dicht geschlossen blieb, auch zu rechtfertigen. Bis 50 Meter vorm Ziel hielt der am kleinen Wäldchen über Spur drei das Zepter schwungvoll an sich reißende Love-You-Sohn eine Länge Vorsprung dem Auge nach sicher fest, obwohl Bazire ihn ein paar Mal ans Gebiss holen musste. Dann drang ein Trio wuchtig auf den Fuchs ein, der 20 Meter vorm rettenden Pfosten mit einem Fehler reagierte, aber auch ohne diesen nicht aufs Stockerl und damit zum Prix d’Amérique gelangt wäre.
Aus dem gewaltigen Haufen, aus dem sich auf den letzten Metern neben dem Bazire-Schützling auch Calle Crown und Délia du Pommereux im Galopp abmeldeten, raufte sich mit Diable de Vauvert ein ähnlicher Senkrecht-Aufsteiger wie Valzer di Poggio um ein paar Millimeter als Erster an den Pfosten vor dem enorm zuverlässigen Feliciano, der selten gewinnt, jedoch auch die anspruchsvollsten Aufgaben mit Bravour erledigt. Und dann zeigte Bahia Quesnot mal wieder, aus welch eisenhartem Quebracho-Holz sie geschnitzt ist.
Durchweg in dritter Linie aktiv, wehte ihr, nachdem ihr die Schattenspender Chica de Joudes, Valzer di Poggio und Féerie Wood abhanden gekommen waren, für die letzten 1200 Meter der Wind um die in 102 Schlachten gestählte Nase. Einen Schwächemoment ausgangs der letzten Kurve bügelte die vor ziemlich genau zwei Jahren von Cédric Herserant zu Junior Guelpa in den Süden Frankreichs gewechselte Scipion-du-Goutier-Tochter auch noch aus und sicherte sich als lediglich einen weiteren „Kopf“ später anschlagende Dritte zum dritten Mal in Folge den Fahrschein zum „Amérique“.
Mit 1:12,8 verfehlten die ersten Drei den Rennrekord, der seit 2012 fest auf Roxane Griffs Schultern ruht, lediglich um drei Zehntelsekunden. Gar so überraschend fiel der elfte Treffer des „Teufels von Vauvert“ nicht vom Himmel, der in Gabriele Gelormini den passenden Partner gefunden hat. Der 29-jährige ist seit Juli 2018 ständiger Driver des Schwarzbraunen, der sich dank eines ersten und zweiten Etappenplatzes in Maure-de-Bretagne bzw. Chatelaillon-La Rochelle nach der auf Anhieb gelungenen Amérique-Qualifikation ganz aufs Finale des Grand National du Trot am 6. Dezember konzentrieren kann. „Ein außergewöhnliches Pferd mit einem riesigen Kämpferherzen! Glückwunsch an das gesamte Team, das ihn täglich umsorgt und hervorragend in Schuss hält“, strahlte der ambitionierte „Gabbi“ Gelormini, der ein Engagement im Rennen der Rennen somit frühzeitig sicher hat.
Der Rennverlauf
Wie die Feuerwehr legte die aus neunmonatiger Pause kommende Erminig d’Oliverie los, die, kaum durch Billie de Montfort abgelöst, im Galopp ausfiel. Billie wollte den Taktstock ebenfalls nicht lange behalten und übergab ihn beim Einbiegen auf die Tribünengerade an Drôle de Jet, der bis 1.000 Meter vorm Ziel vorn blieb. Dort wurde er von Valzer di Poggio überrannt, der über Spur drei mit einem Ruck die Regie an sich riss. Im dichtgepackten Feld führte Féerie Wood vor der wie üblich aufwändig vorgetragenen Chica de Joudes, Feliciano und Délia du Pommereux die Truppen der zweiten Reihe an.
Ganz außen tummelte sich Bahia du Quesnot mit Diable de Vauvert, Calle Crown, Carat Williams und Looking Superb im Nacken. Ohne Entfaltungsmöglichkeiten eingemauert waren Moni Viking, Davidson du Pont und Bilibili, wobei Letztgenannter seinen Rekord der besonderen Art ausbaute: 1.879.600 Euro hat der zweifache Cornulier-Sieger bislang gescheffelt - und nicht einen davon bei seinen nunmehr 16 „Fahr-Prüfungen“. Völlig unscheinbar begann für ihn nach neun Monaten kreativer Auszeit die Vorbereitung auf die bedeutenden Montés des Meetings - mit dem Prix de Cornulier als großem Winter-Ziel.
Prix de Bretagne (Gruppe II int., vier- bis zehnj. Hengste und Stuten)
2700 Meter Bänderstart o.Z., 95.000 Euro
1. Diable de Vauvert 12,8 Gabriele Gelormini 77
7j.schwbr. Hengst von Prince d‘Espace a.d. Pop Star von First de Retz
Be / Zü: Franck Lemuet; Tr: Bertrand Le Beller
2. Feliciano 12,8 David Thomain 74
3. Bahia Quesnot 12,8 Junior Guelpa 470
4. Fakir du Lorault 12,9 François Lecanu 250
5. Carat Williams 12,9 Yoann Lebourgeois 1340
6. Tony Gio 12,9 Eric Raffin 210
7. Féerie Wood 12,9 Alexandre Abrivard 100
8. Drôle de Jet 13,0 Pierre Vercruysse 230
9. Chica de Joudes 13,0 Alain Laurent 440
10. Davidson du Pont 13,1 Nicolas Bazire 1200
11. Billie de Montfort 13,1 Jean-Philippe Monclin 400
12. Moni Viking 13,2 Björn Goop 69
13. Bilibili 13,3 Laurent-Claude Abrivard 1650
14. Looking Superb 13,5 Christophe Martens 1810
Valzer di Poggio dis.r. Jean-Michel Bazire 24
Calle Crown dis.r. Franck Nivard 580
Erminig d’Oliverie dis.r. Adrien Lamy 1750
Délia du Pommereux dis.r. Sylvain Roger 92
Sieg: 77; Richter: Kampf k.Kopf - Kopf - ¾ - 1 - k.Kopf - k.Kopf - ¾ - k.Kopf - 1 Länge; 18 liefen
Zw-Zeiten: 14,3/1200m - 13,0/1700m - 12,9/2200m
Wert: 38.250 - 21.250 - 11.900 - 6.800 - 4.250 - 1.700 - 850 Euro
Qualifiziert für den Prix d’Amérique 2021:
Diable de Vauvert, Feliciano, Bahia Quesnot (Prix de Bretagne)
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2020-11-22/7500/4
Aus der Deckung abgestaubt
Die nächste Klatsche gab’s für „JMB“ im mit dem Auto gestarteten Prix de Boissy-Saint-Léger für Vier- und Fünfjährige, die noch keine 285.000 Euro gewonnen hatten, den er wohl eher aus Mangel an Alternativen denn wegen der aktuellen Verfassung seines mit mausgrauen Formen daherkommenden Noble Superb als Favorit bestritt. Die „1“ war dem Norweger keine Hilfe, der durch viele Positionswechsel ins Hintertreffen entschwand und von dort nie mehr auftauchte. Für die Schlagzahl fühlte sich For You Madrik vor Gallant Way, Ids Boko, Flora Quick und Free Man zuständig, außen produzierte sich Holy Water vor Golden Bridge, Feydeau Seven, Noble Superb, Favorite Fligny, Gamble River und Famous Lady.
Lange sah es ganz danach aus, als habe Eric Raffin die Mitstreiter locker im Griff, doch noch besser konnte es Gallant Way. Dem Ready-Cash-Sohn war der verdeckte Run eine echte Wohltat. Platz zur Attacke hatte er genug, weil Holy Water dem Marsch durch die Todesspur eingangs der Zielgeraden Tribut zollen musste. Von Anthony Barrier auf freie Bahn bugsiert, gab’s kein Halten mehr für den Allaire-Protegée. Der Fünfte des Europa-Derbys der Vierjährigen düste unter Einstellung seiner privaten 1:11,6-Bestmarke wie auf Schienen zum siebenten Erfolg und ist nun 281.600 Euro reich.
Ebenso leicht hielt For You Madrik den Ehrenplatz gegen die speedige Flora Quick fest, wogegen Ids Boko wenig Raum zur Entfaltung fand. So reichte es für Deutschlands Derby-Zweiten von 2018 nur um Haaresbreite zu Rang fünf hinter Golden Bridge.
Prix de Boissy-Saint-Leger (Gruppe III int., Vier- & Fünfj., keine 285.000 Euro)
2100m Autostart, 70.000 Euro
1. Gallant Way 11,6 Anthony Barrier 88
4j.br. Hengst von Ready Cash a.d. Queen Flore von Viking’s Way
Be / Zü: Jacques Pauc; Tr: Philippe Allaire
2. For You Madrik 11,7 Eric Raffin 150
3. Flora Quick 11,8 Gabriele Gelormini 1200
4. Golden Bridge 11,9 David Thomain 190
5. Ids Boko 11,9 Robin Bakker 100
6. Famous Lady 11,9 Alexandre Abrivard 990
7. Feydeau Seven 12,0 Nicolas Bazire 58
8. Free Man 12,0 Laurent-Claude Abrivard 1010
9. Holy Water 12,1 Adrien Lamy 790
10. Rebella Matters 12,2 Christophe Martens 320
11. Gamble River 12,4 Björn Goop 93
12. Noble Superb 12,4 Jean-Michel Bazire 22
13. Fire Cracker 13,2 Grégory Thorel 1390
Flicka de Blary dis.r. Thomas Levesque 3120
Favorite Fligny dis.r. Jérémy-Gaston van Eeckhaute 200
Sieg: 88; Richter: leicht 1½ - 1½ - ¾ - k.Kopf - ¾ - k.Kopf; 15 liefen (NS Filou l’Auvergnier)
Zw-Zeiten: 09,3/600m - 11,1/1100m - 12,3/1600m
Wert: 31.500 - 17.500 - 9.800 - 5.600 - 3.500 - 1.400 - 700 Euro
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2020-11-22/7500/5
Die „Bazires“ eins-zwei-drei
Schadlos hielt sich das „Entraînement Bazire“ im Prix de Cosse le Vivien (sechs- bis zehnjährige Europäer, keine 320.000 Euro; 2100m, 49.000 Euro), das der Chef mit dem Italiener Victor Ferm als Favorit bestritt, jedoch nicht ganz hinkam. Der erstmals unter seiner Regie aktive Nad-Al-Sheba-Sohn konnte froh sein, nach langer Führung für Bronze den Dänen Confidence und Altéa de Piencourt haarscharf abzuwimmeln. Die Kastanien aus dem Feuer rissen die Trainingsgefährten Ferrari B.R. und Sobel Conway.
Der Ferrari, von Alexandre Abrivard perfekt im zweiten Paar außen untergebracht, nährte mit dem leichten ersten Frankreich-Treffer die Hoffnung, vielleicht doch noch nachhaltig an seine großen Tage im Frühjahr 2017 anknüpfen zu können, als er mit 1:09,9 als erster Vierjähriger weltweit über die 2100-Meter-Mitteldistanz auf einer 1000-Meter-Piste unter der magischen 1:10-Marke geblieben war. Schnellster im Einlauf war der aus unmöglicher Position von Nicolas Bazire eingesetzte Sobel Conway, der ganz außen mit Siebenmeilenstiefeln angefegt kam und zum dritten Mal in Folge in einer Vincenner Autostart-Prüfung mit dem Ehrenplatz zufrieden sein musste. Für den kleinen Schweden sollte es bald mal klingeln…
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2020-11-22/7500/6